Studie: Unternehmerische Orientierung in Verbänden

Schluss mit alten Vorurteilen! Studie zu Unternehmerischer Orientierung belegt: Verbände sind dynamische, progressive Organisationen! Es ist längst überfällig, anhand von Forschungsergebnissen zu belegen, dass Verbände ein wichtiger Motor zur Gestaltung unserer Wirtschaft und Gesellschaft sind! Sie engagieren sich für den Fortschritt ihrer Mitglieder, Branchen und Berufsstände und fördern deren Weiterentwicklung. Doch wie gelingt ihnen das?

Perspektiven auf das Management von Verbänden

Die Zeiten sind vorbei, in denen Verbände exklusive Clubs für Platzhirsche mit Standesdünkel sind. Bereits seit den 1960er Jahren wandelt sich die Perspektive: Mit der umfassenden Individualisierung und Pluralisierung der Gesellschaft geht einher, dass Mitglieder als nutzensensibel angesehen werden. In der Folge etabliert sich eine Dienstleistungsperspektive auf Verbände: Sie verstehen sich als Leistungserbringer für ihre Mitglieder und interpretieren das Verhältnis als „Kundenbeziehung“ – mitunter bieten sie sogar Services gegen Bezahlung an Nicht-Mitglieder an. Gleichzeitig werden Geschäftsstellen umfassend professionalisiert. Der Satzungszweck wird um Mission und Strategie erweitert, Prozessmanagement wird implementiert, Verantwortlichkeiten zwischen Haupt- und Ehrenamt definiert und der gesamte Verband in klare Strukturen gegliedert. Diese Entwicklung ist auch als betriebswirtschaftliche Verbandführung oder Managerialismus bekannt. So wichtig diese Transformation für Verbände war und ist, so sehr wird sie inzwischen durch einen neuen Zeitgeist abgelöst. Die Digitalisierung und Globalisierung des 21. Jahrhunderts führen zur VUCA-Welt, in der wir uns heute befinden. Der Takt des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels hat sich deutlich erhöht. Im Hinblick darauf bieten klare Organisationsstrukturen und Prozesse zwar Sicherheit, führen aber möglicherweise zu eingefahrenen Mustern und Alltagstrott, die den aktuellen Dynamiken nicht gerecht werden. Verbände entwickeln diesen Status deshalb weiter und verlassen die etablierte Stabilität ihres professionellen Organisationsrahmens immer öfter. Sie nehmen sich Freiräume für Unternehmerische Orientierung und zeigen Innovativität, Proaktivität und Risikoneigung in ihrer Führung und Kultur. Mit diesem Wandel rückt die Interpretation von Verbänden als Dienstleister für nutzensensible Mitglieder in den Hintergrund. Doch was bedeutet es genau, unternehmerisch orientiert zu sein, und wie agieren Verbände in dieser Hinsicht?

Was bedeutet Unternehmerische Orientierung?

Ganz allgemein gesprochen beschreibt Unternehmerische Orientierung, wie Unternehmergeist in bestehenden Organisationen ausgelebt wird. Dieses Konzept ist bislang besonders in Wirtschaftsunternehmen, NPOs und öffentlichen Einrichtungen untersucht worden. Unzählige Studien haben ermittelt, dass Unternehmerische Orientierung den Erfolg von Organisationen fördert, also beispielsweise Profit und Eigenkapitalrendite, oder die Erreichung des Missions-Ziels. Bestehende Erkenntnisse sind allerdings nur bedingt auf den Kontext von Wirtschafts-, Berufs- und Arbeitgeberverbänden anwendbar, die durch ihr ideelles Satzungsziel die eigenen Mitglieder fördern. Insbesondere im Hinblick auf ihre wirtschaftlich tätigen Mitglieder liegt es aber natürlich nahe, dass auch Verbände Unternehmerische Orientierung ausleben. Das tun sie bereits – wie die folgenden  Auszügen aus Forschungsinterviews mit 12 Geschäftsführenden von unternehmerisch orientierten Wirtschafts-, Berufs- und Arbeitgeberverbänden zeigen. Unternehmerische Orientierung gliedert sich hier in die definierenden Dimensionen Proaktivität bezüglich der Geschäftsstelle und externer Stakeholder, Innovativität, Risikoneigung und Mitgliederinteraktion.

Proaktivität beleuchtet, inwiefern eine Organisation den Status-Quo hinterfragt, zukünftige Herausforderungen antizipiert und Veränderungen antreibt. Verbände denken hierbei an die Zukunft der eigenen Organisation, indem sie einen kritischen Blick auf ihre Geschäftsstelle einnehmen. Spannend ist, dass einige Verbände aber noch weiter gehen und die Zukunftsfähigkeit ihrer Mitglieder fördern. Sie beziehen die Zielgruppen der Mitglieder und weitere Stakeholder aus Öffentlichkeit und Politik ein und bedenken deren aktuelle und zukünftige Bedürfnisse. Damit geht auch einher, dass Verbände hin und wieder Manöverkritik nach innen äußern, die Mitglieder zu Veränderungen anspornen, und deren Entwicklungsweg begleiten.
Innovativität zielt darauf ab, inwiefern Verbände immer wieder kreative Ideen annehmen, Veränderungen umsetzen und sich weiterentwickeln. Sie grenzen sich von anderen Organisationen ab und beschreiten unkonventionelle Wege. Auch hier zeigt sich, dass einige Verbände neben Neuerungen in ihren eigenen Geschäftsstellen, auch Innovationen für ihre Mitglieder hervorbringen. Sie identifizieren sich nicht als Dienstleister für ihre Mitglieder, sondern als gestaltende Akteure. Deshalb generieren sie aus eigenem Antrieb neue Erkenntnisse und geben diese als Vorlagen, Blaupausen oder Whitepapers an die Mitglieder weiter.
Risikoneigung beschreibt, ob Verbände Wagnisse eingehen. Die Ergebnisse solcher Projekte, Aktivitäten und Partnerschaften sind schwer vorhersehbar und führen bestenfalls zu großen Erfolgen, jedoch schlechtestenfalls zu gravierenden Verlusten. Verbände federn große Risiken dadurch ab, dass sie die Legitimation solcher Entscheidungen durch den Einbezug der Mitglieder ausweiten. Auch anhand dieser Dimension wird deutlich, dass Verbände Risiken stellvertretend für Mitglieder eingehen, um gemeinschaftlich Vorteile aus Ergebnissen zu ziehen bzw. Verluste auf die vielen Schultern der Mitgliederschaft zu verteilen.
Ambivalente Mitgliederinteraktion beudeutet, dass Verbände ein umfassendes Gefühl dafür haben, ob, wann und welche Mitglieder bei welchen Entscheidungen einbezogen werden müssen. So kann es einerseits erforderlich sein, Mitglieder abzuholen, ihre Expertise und Einschätzungen zu erfragen und sie in Aktivitäten einzubinden. Andererseits haben Verbände eine Grundhaltung zu gewissen Themen, die es situativ erforderlich macht, über Einzelmeinungen hinweg zu gehen. Gleichzeitig stellen sie Handlungsfähigkeit sicher, wenn sie Entscheidungen eigenverantwortlich im Sinne ihrer Mitglieder treffen können.
Zusammengefasst verstehen sich unternehmerisch orientierte Verbände also weder als Dienstleister, die den Erwartungen der Mitglieder entsprechen müssen. Noch sind sie bloße Vermittler der Ideen, Standpunkten oder Positionen ihrer Mitglieder. Stattdessen haben sie eine eigene organisationale Identität und verfolgen den Anspruch, Impulsgeber und Förderer der Mitglieder zu sein. Dabei erbringen Verbände selbstverständlich trotzdem klassische Leistungen. Allerdings positionieren und exponieren sie sich nicht darüber. Ein Geschäftsführer formuliert seine Vorstellung folgendermaßen:

Unternehmerische Orientierung und Erfolg

Bei diesen Auszügen handelt es sich um qualitative Einschätzungen von Geschäftsführenden. Entsprechend ist es spannend zu ermitteln, ob dieses Verständnis von Unternehmerische Orientierung umfassend in Verbänden ausgelebt wird. Darüber hinaus ist es im Hinblick auf bestehende Erkenntnisse aus anderen Organisationskontexten interessant, ob Unternehmerische Orientierung den Verbandserfolg fördert. Dafür wurden die Inhalte aus den Interviews in einen Fragenkatalog übertragen. Erfolg wurde in Anlehnung an frühere Verbandsstudien anhand von Mitglieder-Engagement, Interessenvertretungs- und operativem Erfolg gemessen. An der anschließenden Erhebung nahmen 77 Verbandsgeschäftsführende teil, von denen sich 32 als Wirtschaftsverbände, 29 als Arbeitgeberverbände, 19 als Berufsverbände und 11 als wissenschaftlich-technische Verbände identifizieren (Mehrfachnennung möglich). Die statistischen Zusammenhänge sind in der Abbildung festgehalten. Daraus wird deutlich, dass Unternehmerische Orientierung den Erfolg von Verbänden fördert: Mitglieder erklären sich gerne bereit, Vorstandsämter zu übernehmen, bringen sich in Gremien ein, oder engagieren sich als Repräsentanten des Verbandes, beispielsweise auf öffentlichen Messen oder bei politischen Anhörungen. Damit einher geht ein gesteigerter Interessenvertretungserfolg. Verbände mit Unternehmerischer Orientierung befinden, dass sie eine hohe Sichtbarkeit, Vertrauenswürdigkeit und Einfluss haben. Schließlich sind ihre Mitglieder aktive Teilnehmende am Verbandsgeschehen. Sie sind regelmäßig involviert, nehmen Beratungsleistungen in Anspruch, besuchen verbandliche Veranstaltungen und erneuern deshalb ihre Mitgliedschaft. Zusammengefasst kann also davon ausgegangen werden, dass Unternehmerische Orientierung in Verbänden eine Sogwirkung ausstrahlt: Mitglieder partizipieren gerne in proaktiven, innovativen und risiko-freudigen Verbänden. Unternehmerische Orientierung fördert Identifikation. Die Mitglieder möchten Teil dieser Gemeinschaft sein, sich einbringen und im Namen ihres Verbandes sichtbar werden. Dies macht Verbände schlagkräftig und damit einflussreich.

Unternehmerische Orientierung und Erfolg

Unternehmerische Orientierung und Erfolg

Umsetzung im Verband

Schließlich bleibt die Frage, wie Verbände Unternehmerische Orientierung in ihren Geschäftsstellen bewirken. Hierfür beschreiben die Geschäftsführenden, dass sich alle Akteure eines Verbandes dafür einsetzen, immer wieder kritische Fragen stellen und Verantwortung für die Entwicklung ihrer Bereiche übernehmen sollten.

Fazit

Im Hinblick auf diese Analysen lassen sich drei Haupterkenntnisse zu Unternehmersicher Orientierung in Verbänden ableiten:

  • Erstens haben Verbände heutzutage nichts gemein mit dem verstaubten, konservativen und reaktiven Image, das ihnen gerne mal unterstellt wird. Sie sind stattdessen dynamische, progressive Organisationen, die sich als gestaltende Akteure verstehen und dank ihrer Unternehmerischen Orientierung immer weiter entwickeln.
  • Zweitens gelingt es vielen Verbänden darüber hinaus, die Unternehmerische Orientierung ihrer Mitglieder, ganzer Branchen und Berufsstände zu fördern. Durch ihre Wirken rückt etwaige kosten-nutzen-Sensibilität der Mitglieder in den Hintergrund und Zugehörigkeit und Identifikation gewinnen wieder an Bedeutung. Verbände sind somit bestenfalls ein Ort der Inspiration und Orientierung.
  • Drittens setzen Verbände diese Leistung in Teamarbeit um. Die Verbandsgeschäftsführenden schaffen einen Rahmen, in dem Mitarbeitende, Funktionsträger, Mitglieder und externe Partner zusammenarbeiten, kreative Ideen entwickeln, und Fortschritt leben, um den Verband voran zu bringen.

Autorin

Dr. Dorothea Maria Stock studierte BWL für Stiftungen und Verbände sowie Wirtschaftspsychologie mit Schwerpunkt auf nachhaltiger Unternehmensführung. Sie promovierte am Verbandsmanagement Instituts (VMI) der Universität Fribourg zu unternehmerischer Orientierung von Verbänden und NPOs. Parallel arbeitet sie seit Anfang 2019 beim Deutschen Verbände Forum und ist Redaktionsmitglied des Verbändereport.

 

 

 

 

 

 

 

Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Markus Gmür, Direktor Forschung des Instituts für Verbands-, Stiftungs- und Genossenschaftsmanagement (VMI), und Inhaber des Lehrstuhls für NPO-Management an der Universität Freiburg/CH, umgesetzt.