Dr. Jens Kegel wird beim 17. Deutschen Verbändekongress von 16.-17.03.2020 in Berlin über Führung und Motivation in Verbänden referieren. Wir haben uns im Interview schon jetzt mit ihm darüber unterhalten.
Mitarbeiter – besonders der jüngeren Generation – suchen zunehmend den Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit. Was bedeutet das für die Führung junger Menschen im Verband?
Kegel: Sinn in der Arbeit finden Menschen, wenn zwei Voraussetzungen gegeben sind: Ihnen muss bewusst sein, was die Resultate ihres Handelns für andere Menschen bedeuten, worin der Nutzen für andere liegt. Der Grund dafür ist unser evolutionäres Erbe – wir sind soziale Tiere. Die zweite Voraussetzung: Die Arbeit sollte im Idealfall zu den individuellen Eigenschaften/Motiven/Vorlieben des Arbeitenden passen wie ein Maßanzug. Für die Führung bedeutet das: Betätigt Euch als Maßschneider und passt die Arbeit dem Individuum an, nicht umgekehrt. Das beginnt bei einem umfangreichen Einstellungs-Prozess und begleitet im Idealfall das gesamte Arbeitsleben. Was hier nach Zeitverschwendung klingt, bringt jedoch das genaue Gegenteil: Mehr Zeit, weniger Führungsaufwand, zufriedene Mitarbeiter, niedrigen Krankenstand.
Wie gelingt es Führungskräften, ihren Mitarbeitern gleichzeitig Eigenverantwortung und Autonomie zu übertragen, und trotzdem Rückhalt und Sicherheit zu vermitteln?
Kegel: Indem sie sich wie gute Eltern verhalten: nicht wie Helikopter-Eltern agieren und ständig über ihnen kreisen, sondern handelnd lernen und Fehler machen lassen, sehr maßvoll loben und das Wissen kommunizieren: Ich stehe hinter Dir, wenn’s wirklich brennt. Ansonsten vertraue ich Dir, dass Du das Meiste allein kannst. Über allem steht Vertrauen. Ist leicht gesagt, aber schwer umzusetzen, weil Vertrauen häufig mit Emotionen der Führungskraft kollidiert: Angst, Kontrollverlust, Machtverlust… Wer aber vertraut, aktiviert das Prinzip der Reziprozität und bekommt Vertrauen zurück. Und sogar noch mehr: loyale und eigenständige Mitarbeiter, die sich selbst zu einem guten Teil führen wollen und können.
Welche Rolle sollten Führungskräfte Emotionen beimessen?
Kegel: Eine zentrale, denn Neurologen wissen: Emotionen steuern unser Handeln rund um die Uhr unbewusst. Sie sorgen dafür, dass der Körper im psychischen und physischen Gleichgewicht ist. Sie fungieren als permanent agierendes Überwachungsradar. Sie steuern, wie wir was in welcher Qualität, in welcher Zeit, mit wieviel intrinsischer Motivation tun. Emotionen sind nicht marginal, sondern fundamental.
Wie wird sich die Führung von Organisationen in Zukunft entwickeln? Gibt es im Zuge von digitaler Transformation, zunehmender Dynamisierung und Komplexität Trends, die sich bereits heute abzeichnen?
Kegel: Mit Sicherheit kann die Gießkanne in den Schuppen – hierarchische Standard-Führungsinstrumente, die bei jedem verwendet werden, funktionieren nicht. Selbstbewusste Individuen wollen individuell geführt werden. Nicht von oben nach unten, sondern parallel zueinander. Führungskräfte werden Mentoren, Begleiter, Coaches. Die zwar überall gepredigte, aber nur sehr selten gelebte Augenhöhe ist bereits heute vielerorts ein Muss. Führung hat dafür zu sorgen, dass der Einzelne an seinen Aufgaben und mit ihnen wächst, nicht daran zerbricht. Führung sorgt für spannende Arbeit und sichere Rahmenbedingungen. Sie muss sich zurücknehmen können und den Einzelnen gewähren lassen. Und – ganz wichtig: Eine Fehlerkultur implementieren, die den Namen auch verdient.
Gibt es bei Ihrer Tätigkeit als Coach und Trainer eine Frage, die Sie immer wieder gestellt bekommen? Was könnte der Grund dafür sein?
Kegel: Ich selbst hab mir viele Jahre eine gestellt: Warum fällt es Menschen so schwer, sich zu ändern, etwas Neues zu tun, das Gewohnte zugunsten des bisher Ungewohnten aufzugeben, obwohl alle Alarmglocken bimmeln? Der Neurobiologe Gerhard Roth hat sie mir beantwortet: Weil die wichtigste Aufgabe des Gehirns darin besteht, den Organismus am Leben zu erhalten. Und Neues birgt die Gefahr, dass es auch schiefgehen kann. Das konnte in unserer evolutionären Vergangenheit im schlimmsten Fall den Tod bedeuten. Weitermachen wie bisher ist zudem Belohnung für das Gehirn, es zeigt, dass alles in Ordnung ist. Für das immer Gleiche belohnt sich unser Denkorgan sogar mit eigenen Opioiden. Zwar werden wir heute bei Veränderungen nicht sterben, aber unser Gehirn arbeitet eben noch in vielen Bereichen wie zu Zeiten unserer Vorfahren in der afrikanischen Savanne.
Über Dr. Jens Kegel
Dr. Jens Kegel ist Coach (univ.) für Führungskräfte, Trainer, Kommunikationsexperte und Autor. Er studierte Germanistik, Geschichte, Pädagogik und Psychologie. Nach zwei Staatsexamen, einem Fernstudium „Werbetexten“ und einem Promotionsstudium arbeitet er als Freiberufler für Unternehmen, Verbände und Führungskräfte.
Außerdem ist er immer wieder Autor im Verbändereport.