Prof. Dr. Hans Lichtsteiner vom Verbandsmanagement Institut (VMI) bzw. von verbandsberatung.ch wird beim 17. Deutschen Verbändekongress von 16.-17.03.2020 in Berlin über Verbandskommunikation referieren. Wir haben uns im Interview schon jetzt mit ihm darüber unterhalten.
Die alltägliche Reizüberflutung durch ständige Kommunikation nimmt zu. Mit welcher „Zauberformel“ gelingt es Verbänden, ihre Botschaften wirkungsvoll zu platzieren?
Lichtsteiner: In der Kommunikation gilt heute klar das Prinzip: Weniger ist mehr. Grundsätzlich sollte ein Verband die Mitglieder nur dann aktiv kontaktieren, wenn Informationen für diese wirklich wichtig und handlungsrelevant sind. Alle anderen Informationen können heute auf einer Homepage bereitgehalten werden und das Mitglied ruft diese dann ab, wenn es sie braucht. Wird ein Mitglied aktiv angeschrieben, geht es in einer ersten Phase der Kommunikation darum, in kurzen und einfachen Botschaften dem Mitglied die Relevanz des Themas aufzuzeigen, damit dieses für sich entscheiden kann, ob es sich weiter informieren will. Erst in einem zweiten Schritt macht es Sinn, alle wesentlichen Details zum Thema darzulegen. Die Verbandskommunikation kann zudem weiter aufgewertet werden, indem am Schluss eines Beitrags jeweils festgehalten wird, welcher Handlungsbedarf für das Mitglied aus einer Information entsteht.
In Ihrem Vortrag am vergangenen Verbändekongress haben Sie die Ergebnisse einer Befragung zum Kommunikationsverhalten von Eigenleistungs-NPO präsentiert. Ein Resultat war, dass die Mehrheit der Verbände in den nächsten zwei Jahren keine Anpassung ihres Medienmixes (1/3 Print, 1/3 Digital, 1/3 Persönlich) plante. Die umfassende digitale Transformation ist doch gerade in aller Munde – was könnte der Grund für diese Zurückhaltung gewesen sein?
Lichtsteiner: Die Gefahr in Extremen zu denken ist sehr groß, es reduziert die tatsächliche Komplexität des Lebens und macht die Welt einfach. Selbstverständlich bietet die Digitalisierung der Kommunikation viele neue, attraktive Möglichkeiten, mit den Mitgliedern zu interagieren und sich auszutauschen. Das persönliche Treffen und Gespräche zwischen Menschen haben aber ganz andere Qualitäten, welche beispielsweise eine Skype-Konferenz nicht bietet. Insofern ist diese Zurückhaltung der Verbände, nun nicht kopflos einem Trend zu folgen, sondern zuerst einmal sehr genau zu analysieren, wo die digitale Kommunikation wirklich einen Mehrwert bringt, der absolut richtige Weg. Eine Untersuchung, die wir jüngst durchgeführt haben, zeigt, dass die Mitglieder eine bestimmte Kontinuität in der Verbandskommunikation sehr schätzen.
Und wie hat sich die verbandliche Kommunikation nach Ihrer Einschätzung seitdem tatsächlich entwickelt?
Lichtsteiner: Dies kann ich aktuell nicht sagen, eine weitere Studie ist jedoch geplant und in Vorbereitung. Auf Grund der jüngsten Mediennutzungsstatistiken lässt sich jedoch ausmachen, dass beispielsweise Facebook momentan massiv an Bedeutung verliert und von WhatsApp und Instagram substituiert wird. Dies zeigt, dass aktuell nicht nur ein Verdrängungswettbewerb zwischen den analogen und digitalen Medien herrscht, sondern sich auch letzterer weiterentwickelt und verändert.
Die klassische gedruckte Mitgliederzeitschrift scheint im verbandlichen Kommunikationsmix nach wie vor in Stein gemeißelt zu sein. Wie sieht die Verbandszeitschrift 2040 aus?
Lichtsteiner: Wie sieht unsere Welt 2040 aus? Dies ist meines Erachtens ein Blick in die Kristallkugel. Viele Dinge kommen nicht so schnell, wie wir gemeint haben. Wenn sie dann aber kommen, so kommen sie meist viel weitreichender und disruptiver, als wir dies erwartet haben. Inwieweit wir 2040 noch Papier physisch in der Welt herumschicken, ist schwer abschätzbar. Ebenso die Frage, inwieweit bewegte Bilder die statischen Bilder abgelöst haben. Für die nächsten paar Jahre gibt es meines Erachtens aktuell noch wenig Indizien, dass die elektronische Zeitschrift oder eine Webpage die Mitgliederzeitschrift vollkommen ersetzen könnte. Die Stärke einer gedruckten Zeitschrift besteht nach wie vor in der Möglichkeit, in knapper, übersichtlicher und physisch tangibler Form den Mitgliedern wichtige Informationen schnell erfassbar näher zu bringen. Zehn Minuten in einer Zeitschrift zu blättern hat nach wie vor die höhere Informationsdichte als zehn Minuten im Internet zu surfen.
Was macht die Arbeit in und mit Verbänden für Sie besonders spannend?
Lichtsteiner: Das Management von Verbänden ist sehr vielschichtig und damit recht komplex. Eine sachlich inhaltlich gute Lösung für ein Problem zu finden ist immer auch mit der Herausforderung verbunden, für diese Lösung eine politische Mehrheit zu finden, damit sie umgesetzt werden kann. Dies bedeutet kommunikativ, komplexe Sachverhalte einfach, leicht verständlich und stringent aufzubereiten, um die notwendige Überzeugungsarbeit leisten zu können. Dies mache ich mit unterschiedlichsten Organisationen, vom Wirtschaftsverband über Sportorganisationen bis hin zum Roten Kreuz und das macht meinen Job so spannend.
Was liegt gerade ganz oben auf Ihrem Schreibtisch?
Lichtsteiner: Im Moment beschäftige ich mich sehr stark mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Verbandslandschaft. Welche Faktoren entscheiden darüber, ob ein Verband den digitalen Wandel als Chance nutzen kann? Wie und wo sollte die Digitalisierung in die strategische Planung eines Verbandes einfließen? Welche Aufgaben kann ein Verband künftig nur noch in Kooperation mit Dritten bewältigen? Derartige Fragen tauchen in sämtlichen Strategieprozessen auf, die ich aktuell begleite.
Wofür hätten Sie gerne mehr Zeit?
Lichtsteiner: Für Treffen und inspirierende Gespräche mit anderen Leuten. Es gibt so viele interessante Personen, die über Wissen und Erfahrungen verfügen, von denen man etwas lernen kann. Die besten und innovativsten Ideen entstehen meist in diesen Gesprächen, wo unterschiedlichste Welten aufeinandertreffen.
Über Prof. Dr. Hans Lichtsteiner
Herr Prof. Dr. Hans Lichtsteiner ist Dozent und Lehrgangsleiter des Verbandsmanagement Instituts der Universität Freiburg/CH. Er hat Betriebswirtschaftslehre mit Spezialisierungsrichtung Marketing und Führung studiert. Von 1996 bis 2006 war er als Geschäftsleitungsmitglied und Direktor in diversen Wirtschaftsverbänden tätig.
Außerdem ist er immer wieder Autor im Verbändereport.